Will man zu den Rändern der Welt, ist es hilfreich, erst einmal den Mittelpunkt festzulegen. Deshalb haben wir die Mitte der Erde und Europas besucht und freuen uns nun auf den geografischen Mittelpunkt Finnlands. Nach unserer Tour zu den südlichsten Städten der Erde vor einem halben Jahr führt unsere Sommerreise zu den nördlichsten Siedlungen des europäischen Festlands.
19 km Piste trennen uns in Hattuvaara noch vom östlichsten Punkt der EU auf dem Kontinent – nichts, wofür wir ein Allrad-Fahrzeug brauchten. Auch einen Erlaubnisschein benötigen wir nicht mehr, denn unsere Straße ist von der restriktiven Grenzzone ausgenommen: Gelbe Pfosten markieren die frei befahrbare Strecke, später dann türkisfarbene Seile den Fußweg. Der östlichste Zipfel der finnisch-russische Grenze liegt auf der Insel Virmajärvi, auf 0,1 m genau vermessen und exakt gekennzeichnet mit einem weißen Pfahl; daneben stehen der blau-weiße finnische und der rot-grüne russische Grenzpfosten.
Wir passieren die Riksgrense und schon sind wir von Norwegen nach Finnland eingereist; nur Video-Überwachung, keine Grenzer weit und breit. Das Sami-Dorf Nuorgam (samisch: Njuorggan) ist der nördlichste Ort der Europäischen Union. Die EinwohnerInnen leben weit verstreut und meist vom Lachsfang und der Rentierzucht; ein paar verdienen ihren Lebensunterhalt in der Tankstelle, dem Supermarkt samt Burger-Bude oder dem Textilladen – allesamt die nördlichsten der EU. Ansonsten halten sich die Attraktionen außerhalb der grandiosen Natur in Grenzen.
Beim Slettnes-Fyr, dem nördlichsten Leuchtturm des europäischen Festlands, haben wir eine stürmische Nacht erlebt. Von unserem Parkplatz aus hatten wir beste Sicht quer über die Barentssee nach Norden, war von links nach rechts die Krümmung der Erde spürbar. Abends kam leider der Regen und die Mitternachtssonne hat sich hinter einer düsteren Wolkendecke versteckt. Hell war es trotzdem die ganze Nacht. Morgens hatte sich der Wind gelegt, dafür sorgte der Nebel für eine Weichzeichnung des roten Turms, des einzigen gusseisernen Leuchtturms der Finnmark.
Gamvik ist der nördlichste Ort des europäischen Festlands. Viele Häuser gibt es hier nicht, sie stehen aufgelockert an mehreren Buchten. Vom Fischereihafen werden die Fische zur Verarbeitung in die nahe Fabrik geliefert. Nach dem Niedergang der Fischereibetriebe hatten isländische Geschäftsleute 2012 die Fischverarbeitung übernommen und nach und nach wieder aufgebaut. Im sehenswerten Regionalmuseum (das nördlichste …), untergebracht in einer früheren Fischfabrik, haben wir einiges über den Fischfang und die Verarbeitung zu Stockfisch erfahren.
Mehamn ist der nördlichste Hafen der Hurtigruten-Schiffe; zweimal täglich kommen sie hier vorbei – um 19 Uhr auf dem Weg nach Kirkenes, um 1 Uhr auf der Strecke nach Bergen. Mehamn ist ein nettes Dorf mit bunt gestrichenen Holzhäuser, zwei Supermärkten, einer Tankstelle und einer Kirche, deren Turm vom Funkmast weit überragt wird. Traditionell lebte man vom Fischfang in arktischen Gewässern; hier war eine bedeutende Walfangstation. Heute kommt etwas Tourismus hinzu mit vielfältigen Touren zu Wasser und an Land, besonders auch im Winter.
Das nordöstliche Ende Norwegens finden wir 60 km hinter Kirkenes in Grense Jakobselv. Nach relativ guter Strecke fahren wir die letzten 10 km auf Lehmpiste entlang des Jakobselva, der hier die Grenze zu Russland bildet. Auf beiden Höhenrücken sehen wir moderne Horchposten, an der Piste ein Zelt mit Lagerfeuer und zwei norwegischen Grenzsoldaten, die freundlich grüßen. Um Grenzstreitigkeiten aus dem Weg zu gehen, dürfen im Fluss nur Norwegerinnen und Norweger angeln; AusländerInnen kennen möglicherweise nicht den genauen Grenzverlauf.
Östlich von Kirkenes ist die Straße überraschend gut und wird weiter ausgebaut. Wir fahren auf der Europastraße 6, auf der auch der Personen- und Güterverkehr in Richtung der russischen Metropole Murmansk rollt. Der Grenzübergang von Norwegen nach Russland liegt bei Skorskog, wenige Kilometer östlich von Kirkenes. Würde man die Schotterpiste von Tarnet nach Russland weiter ausbauen und einen neuen Übergang samt Zubringerstraße auf russischer Seite von Peschenga aus schaffen, wäre der Weg nach Murmansk wesentlich kürzer. Aber wir kommen da eh nicht hin ohne Visum.
Den geografischen Mittelpunkt Finnlands findet unsere Navi über die Koordinaten 64°10'50.5"N 25°48'10.9"E bei Leskela, gleich neben der Europastraße 75, die von Helsinki über Oulu und Ivalo bis zur Barentssee führt. Eine Säule aus Feldsteinen, umgeben von einer niedrigen Hecke, bietet den Hintergrund für „Suomen Keskipiste“, das Zentrum Finnlands. Sehr unspektakulär, heute ohne finnische Fahne, und von unserer Straße aus nicht ausgeschildert. Fast wären wir vorbeigerauscht …
Das Nordkap auf 71° 10′ 16″ nördlicher Breite sparen wir uns in diesem Jahr, da es ohnehin nicht der nördlichste Zipfel Europas ist und selbst auf der Insel Magerøya ragt die Nachbar-Landzunge Knivskjellodden weitere 1400 Meter nach Norden auf 71° 11′ 08″.
Die nördlichsten Siedlungen Europas liegen noch ein ganzes Stück weiter im Spitzbergen-Archipel und auf Grönland. Kap Fligely auf 81° 51′ nördlicher Breite auf der russischen Inselgruppe Franz-Josef-Land liegt wohl schon in Asien.