9.-10.6. Da das Wetter eher durchwachsen ist (und unsere Fährfahrt bereits durch die Aland-Inselwelt führte) haben wir uns die kleine Schärenringstraße vorgenommen. In Parainen/Pargas besuchen wir die mittelalterliche Feldsteinkirche und bewundern die schöne Kalkbemalung im Innern; auf der Kanzel erinnern gleich vier Eieruhren den Prediger an die verstreichende Zeit. Bekannt ist Parainen/Pargas für seinen Kalksteinbruch, den größten Skandinaviens; er ist bereits seit dem 14. Jahrhundert in Betrieb – und färbt das Laub zartgrau.
Der Gutshof Luohisaari liegt schon am Ende unserer Schärenstrecke. In diesem Palast ist Carl Gustaf Emil Freiherr von Mannerheim 1867 geboren, Finnlands legendärer Feldherr und Staatspräsident, dessen Spuren wir auf unserer Reise noch öfter begegnen werden. Im Haupthaus kann man Kaffee genießen, im einen Nebengebäude ist die Schlossküche untergebracht, im anderen das Web-, Spinn- und Stickzimmer der Damen sowie gegenüber der riesige Billard-Tisch der Herren. Im Park hinter den Gebäuden steht ein Badepavillon, von dem aus man auch ins Meer gelangt.
20.000 Inseln und Inselchen, nackte Felsbuckel, bewaldete Granithügel sowie besiedelte und bewirtschaftete Eilande sind südlich von Turku in der Ostsee verteilt. Bei der Autofahrt durch das größte Schärengebiet der Welt bleibt der Blick meist an Feldern und Wäldern hängen; die Schönheit der Umgebung erschließt sich nur auf den Brücken und Fähren. Die meisten Fährschiffe sind kostenlos; sie zählen zur Infrastruktur, quasi als fahrbare Brücken. Auf der Frühfähre von Nagu nach Hanka stand unser Womo allein im großen Schiffsbauch.
5.-9.6. Wir haben fünf ruhige Nächte in Ruissalo verbracht, einer Insel südlich von Turku mit vielfältigen Freizeitangeboten – vom Schwimmen und Paddeln bis Golfen und Yachting – und einem schönen Campingplatz, von dem aus die Stadt in 12 km schnell erreichbar ist. Ruissalo ist nicht nur bekannt für das älteste Rock-Festival Finnlands (leider erst ab Mitte Juli), sondern auch für den Botanischen Garten der Universität Turku, in dem wir stundenlang spazieren und vor allem die Lilien, Iris und Seerosen, Frauenschuh und Knabenkraut im Freiland bewundern konnten.
Das Aboa Vetus & Ars Nova ist ein besonderes Museum: Bei Bauarbeiten (wie so oft in historischen Städten) wurden Reste der mittelalterlichen Bebauung freigelegt, die heute museumspädagogisch toll aufbereitet einen Einblick ins Leben vor Jahrhunderten gewährt. Im Trakt über zeitgenössische Kunst sind wir (neben Picasso etc.) auf ein Bild mit dem schönen Titel „ART TRA“ des Briten John Court gestoßen. 2009 malte er, linkshändig mit Marker auf MDF-Brett, die rechte Hand auf den Rücken gebunden, in acht Stunden - im Video-Zeitraffer auf acht Minuten eingedampft - dieses Werk.
Als langjährige (ehemalige) Raucherin erinnert sich Beate noch gut an die Unbilden und Anfeindungen beim Tabakkonsum. Auf Campingplätzen war das Rauchen früher kein Problem. An der frischen Luft verzieht sich der Qualm, noch bevor andere sich gestört fühlen können (abgesehen davon, dass der Rauch immer zu den Nichtrauchern zieht). Auf dem Camping in Naantali ist die Fürsorge den Raucherinnen gegenüber so groß, dass für sie eigens ein Dächlein errichtet wurde. Und weil Raucher gerne gemeinsam ihrem Laster frönen, sind darunter vier Plastikstühle aufgereiht.
Wir radeln sehr gerne und freuen uns über ein dichtes Netz an Radwegen. In Turku hat man uns allerdings oft Querrinnen in den Weg gelegt: Die Regenrinnen an der Hauswand enden kurz über dem Bürgersteig. Das Regenwasser fließt dann in 2-3cm tiefen und 8-10cm breiten Senken zur Straße hin ab. Da die Radwege manchmal mit den Fußwegen gekoppelt sind, hoppeln wir hier öfter über die Querrinnen in den Bürgersteigen. Auffällig ist, dass die meisten Radler hier mit Helm unterwegs sind, und die Velos selten abgeschlossen werden.
Ob Bruno zu schwer ist? Oder zu viele Schlaglöcher durchfahren hat? Jedenfalls ist beim Fahren über eine Kabelabdeckung die Sattelstütze gebrochen. Immerhin fast sieben Jahre und 8000 km hat sie gute Dienste geleistet. Und dann haben wir Glück: Kaum einen Kilometer später gab es bereits Ersatz in einem großen Fahrradladen im Stadtteil Port Arthur. Den durchgesessenen Sattel hat Bruno dann auch gleich getauscht – und mit dem netten Besitzer über dessen vielfältige Reisen nach Deutschland im Ford Nugget parliert.
5.-9.6. Turku/Abo ist die erste Stadt Finnlands. Sie wurde nie gegründet, sie wuchs entlang der Wasserwege an der Mündung des Aura-Flusses. Zur Zeit der schwedischen Herrschaft war Abo/Turku das wichtigste Handels- und Verwaltungszentrum des Großherzogtums Finnland. Turku ist auch die Wiege der Bildung: Bereits im 13. Jahrhundert entstand die erste Elementarschule im Dominikanerkloster, 1640 wurde hier die erste Universität in Finnland gegründet. Die Burg überwacht seit 1280 die Aura-Mündung und ist heute Museum und Veranstaltungszentrum.
Erstes Bier in Finnland: Gleich neben dem Marktplatz wird in einer früheren Mädchenschule bestes Bier und Cidre gebraut. In der Brauerei Koulu testen wir ein Pils und ein PaleAle – sehr herb und sehr würzig – und lassen uns die Hausmannskost munden. Das Innere begeistert mit alten deutschen Landkarten und Brau-Erklärungen an den Wänden, mit kupfernen Braukesseln und plüschigem Gestühl. Im Sommer ist der „Biergarten“ (der heißt wirklich so) sicher gut besucht.
Paavo Nurmi – der Wunderläufer ist 1897 in Turku geboren. Der Mittel- und Langstreckler hat in den 1920er-Jahren bei drei Olympischen Spielen 9 Gold- und 3 Silbermedaillen geholt und zudem 22 anerkannte Weltrekorde aufgestellt. 1924 in Paris ist es ihm sogar gelungen, innerhalb von nur 70 Minuten zwei Goldmedaillen zu erlaufen. 1932 wurde er für die Olympiade in Los Angeles nicht mehr zugelassen; er war wohl zu geschäftstüchtig. Auch wenn diese Entscheidung sehr umstritten war: Paavo Nurmi galt nicht mehr als Amateur.
Das große Feuer zerstörte 1827 fast die ganze Stadt, nur der Hügel Luostarinmäki blieb verschont. Heute ist das Holzhaus-Quartier ein Freilichtmuseum mit komplett erhaltenen Handwerker- und Arbeiterhäusern, mit niedrigen Hofensembles und ungepflasterten Straßenzügen, die das Leben von vor 200 Jahren erfahrbar machen. Im Sommer werden die Häuser betreut und die Handwerke, wie etwa Seiler, Geigenbauer und Fassmacher, Schuster, Polsterer und Korbflechter, erläutert. So sehen die Räume der Wagner, Buchdrucker, Bäcker und Bortenmacher aus:
4.6. Naantali nennt sich selbstbewusst „Finnlands Ferienhauptstadt“. Ein Grund dafür ist sicher die Sommerresidenz des finnischen Staatspräsidenten; das eindrucksvolle Granitschloss mit Landschaftspark drumrum wurde 1916 nach den Plänen des finnischen Architekten Lars Sonck im nationalromantischen Stil auf einer Insel erbaut und ist vom Hafen aus gut zu sehen. Zudem ist Naantali als Kur- und Heilbad bekannt, mit sehenswerten, alten Holzvillen, modernen Spa-Palästen und jeder Menge Meeres-Badestränden.
Eine markante Feldsteinkirche mit Schindel-gedecktem Glockenturm thront auf einem Granitberg über dem Yachthafen. Die Baugenehmigung für die Kirche des früheren Birgitten-Klosters wurde am 23. August 1443 unterschrieben, was gleichzeitig als Gründungsdatum der Stadt Naantali gilt. Innen wirkt der dreischiffige Bau sehr harmonisch und hell. Im hinteren Bereich sind schon etliche Musikinstrumente und Notenpulte aufgestellt: vom 7. bis 18. Juni ist die Kirche mit ihrer guten Akustik die ideale Konzerthalle für die Musikfestspiele.
Bestens erhaltene Holzhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert bezaubern in der Altstadt mit ihren schön gestalteten Eingängen und Hausgiebeln, mit verzierten Fenstersimsen und Figuren oder Schiffen als Schmuck zwischen den doppelten Glasscheiben. Die Altstadtgassen sind auch quirliges Geschäftsviertel – mit Cafés und Restaurants, Mode- und Design-Boutiquen, Künstlerateliers und Galerien, Kunsthandwerk- und Souvenirshops. Touristisch ist noch nicht so viel los; die Kneipen sind für Samstagmittag dennoch gut gefüllt.
3.6. Von Kappelskär in Schweden lassen wir uns nach Naantali in Finnland schippern, wieder von Finnlines. Die Küche unserer Fähre „Finnfellow“ allerdings kann mit der „Nordlink“ (Travemünde-Malmö) kaum mithalten: Die osteuropäischen Trucker laden sich zum Abendessen um 16.30 Uhr die Teller so voll, dass es sicher noch für die nächsten Tage als Imbiss reicht. Die späten Esser auf der Fähre haben das Nachsehen. Dafür müssen wir dieses Mal nicht im Schiffsbauch wenden und können vorwärts rausfahren.
Wir fahren mitten durch den Aland-Archipel: unzählige bewohnte und unbewohnte Inseln, bewaldete Schären, kahle Felsen und Granithügel. Manche sind mit einer Markierung für die Schifffahrt versehen, anderen fehlt ein rundes Ende; hier wurde wohl die Fahrrinne frei gesprengt. Die Leuchttürme werden durch Kabel am Seegrund mit Strom versorgt. Immer wieder fasziniert, wie sich die kleinen Birken an den nackten Fels krallen. Wir genießen die Zickzack-Fahrt durch die Inselwelt vom windigen, sonnigen Oberdeck aus.