9.12. Wir verlassen den Großraum Buenos Aires auf der Ruta 3 Richtung Süden. Nach den weiten, urbanen, dicht besiedelten und bewirtschafteten Außenbezirken erreichen wir irgendwann plattes Land. Bis zum Horizont reicht die fruchtbare Ebene. Wir sehen Getreidefelder und vor allem Weideland, riesige Areale, menschenleer.
Ab und zu wird das grüne Einerlei unterbrochen durch eine Herde Kühe auf den schier unendlichen Weideflächen. Sie bieten beste Bedingungen für die guten argentinischen Steaks: Die Rinder leben in wilden Herden statt im Stall, frei laufend und immer in Bewegung auf den im Frühling sattgrünen Wiesen. So entsteht Fleisch bester Qualität.
Alle paar Stunden erblicken wir in der Ferne eine Estanzia, wie die Bauernhöfe in Argentinien genannt werden. Wir fahren am Eingang zur Estanzia „El Buey“ vorbei, der eigentliche Hof liegt aber erst hinter der nächsten oder übernächsten Bodenwelle. Die Gebäudezahl ist meist überschaubar, denn Stallhaltung gibt es allenfalls für die Milchkühe.
Entlang der Straße ziehen sich Viehzäune zum Schutz der Tiere. Dahinter engt fast nichts mehr die weiten Flächen ein. Vor dem Zaum sprießt noch etwas Hafer oder ein paar höhere Gräser. Hinter der Barriere ist fast alles nieder getrampelt. Eine Herde Kühe hat ganz schön Appetit; wenn der „Tisch“ nicht mehr so reichlich gedeckt ist, ziehen die Tiere eben weiter.
Die Pampa ist nicht nur fruchtbar, sondern auch wasserreich. Links und rechts der Straße erstrecken sich Wasserläufe und Teiche, die in größere Seen übergehen. Das sind ideale Bedingungen für allerlei Wasservögel. Die bestens asphaltierte Straße verläuft auf einem Damm und ist so gegen Überschwemmungen weitgehend geschützt.
Rotel-Reiseleiterin Angelika erklärt uns den Mythos und die Lebenswirklichkeit der Gauchos: Die ersten Gauchos waren Kinder von Frauen der indigenen Stämme und den europäischen Eroberern. Sie lebten als Nomaden oder Halbnomaden, ernährten sich von wild lebenden Guanacos und Vicunas, jagten mit ihren Boleadoras (Schleuderkugeln) Nandus und Wildrinder.
Als immer mehr weiße Siedler kamen und die riesigen Weideflächen mit Stacheldrahtzäunen umgaben, konnten sie nicht mehr herumstreunen und ihrer freien Jagd nachgehen. Oft wurden sie im Auftrag der Großgrundbesitzer als Viehdiebe angeklagt oder gleich erschossen. Vielen Gauchos blieb nur die Möglichkeit, sich als Landarbeiter auf den Estanzias zu verdingen.
Auf den Estanzias bildeten sie eine eigene Klasse: Sie waren die wagemutigsten Reiter, die Geschicktesten mit dem Lasso oder der Boleadora, wenn es darum ging, einen Bullen zur Zucht zu fangen. Oder ein einzelnes Pferd aus der wilden Herde zu trennen und zu zähmen. Hier konnten sie ein gewisses Maß an Freiheit retten – zum Preis der Einsamkeit.
Denn Gauchos arbeiten vorwiegend allein, nur umgeben von ihren Hunden. Sie durchstreifen die weiten Ebenen und suchen das verstreute Vieh zusammen, treiben es zum Sammelplatz, oft einem Korral, einem geschlossenen Gehege, umgeben von stabilen Holzzäunen. Das Impfen, Markieren und die Auswahl des Schlachtviehs sind dann Teamarbeit.
Wir fahren weiter durch Grasland. Eine Herde Wildpferde grast am Straßenrand. Pferde leben - ebenso wie Rinder und Schafe - das ganze Jahr über auf den schier unendlichen Wiesen; erst wenn ein Tier auf der Estanzia gebraucht wird, wird es eingefangen und gezähmt. Unser heutiges Ziel ist die Sierra de la Ventana, der einzige Höhenzug, der sich über die flache Ebene der Pampa erhebt. Die höchsten Gipfel messen rund 1000 Meter.
10.12. Die Pampa ist ganz und gar nicht langweilig. Grasland wechselt ab mit Weiden. Dazwischen ein See mit einer Gruppe Flamingos. Dann kommen wieder Wiesen, ein paar Bäume, ein paar Büsche. Und wieder Kühe oder Pferde auf den Weiden - oder einfach nur Gräser. Wir streifen die Außenbezirke der Industrie- und Hafenstadt Bahia Blanca mit ihren Öl- und Gaswerken. Am Rio Colorado verlassen wir die Pampa und kommen nach Patagonien.