Endlich in Patagonien

10.12. Der Rio Colorado markiert die Nordgrenze von Patagonien. Kurz vor Überquerung des Flusses hatten wir die erste Fruchtkontrolle: Nach Patagonien darf kein Obst und Gemüse eingeführt werden; so soll die Ausbreitung der Fruchtfliegen verhindert werden – bisher erfolgreich. Die Beamten kamen in den Bus, fühlten nach Obst in den Gepäcknetzen; den Übernachtungstrakt haben sie sich nicht angesehen. Nach einigen Minuten konnten wir die Reise fortsetzen.

 

Bei unserer Mittagspause am Rio Colorado haben wir die Vereidigung des neuen Staatspräsidenten Mauricio Macris im Fernsehen gesehen. Nach seinem Wahlsieg über den peronistischen  Kandidaten Daniel Scioli zieht er nach zwölfeinhalb Jahren Kirchner-Regierung in den Präsidentenpalast in Buenos Aires ein. Überall im Land hängen noch Wahlplakate von Macris, jetzt versehen mit dem Zusatz „Presidente“.

 

Die Volksheilige Difunta Correa

Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Plastikmüllhalde ist ein Volksheiligtum der Difunta Correa (= „die verstorbene Correa“). Der Legende nach machte sich Deolinda Correa 1841 mit ihrem neugeborenen Kind auf die Suche nach ihrem verschollenen Mann, der zum Kriegsdienst gezwungen und verschleppt worden war. Nach vielen Tagen in der argentinischen Steppe ist sie verdurstet; Dank der Muttermilch hat das Kind an ihrer Brust überlebt. Gauchos, die sie fanden, haben das Kind aufgezogen.

 

Damit Reisende in der patagonischen Steppe nicht verdursten – oder ein persönlicher Wunsch in Erfüllung geht – hinterlassen Gläubige an diesem Volksaltar gefüllte 1,5-Liter Plastikflaschen und andere Devotionalien und Dankesplaketten, die sich rund um das „Heiligtum“ auftürmen. Die katholische Kirche tut sich bislang schwer mit der Anerkennung der „heidnischen Heiligen“. Vielleicht sieht das der argentinische Papst ja eines Tages anders?

 

Eine etwas andere Landschaft

Jetzt sind wir in der patagonischen Steppe. Die reicht – wie die Pampa auch bis zum Horizont, ist allerdings nicht mehr so hoch und abwechslungsreich. Bäume sind hier Fehlanzeige, die höchsten Pflanzen sind Sträucher und Büsche. Es geht aber auch kniehoch, unfruchtbar, aride Steppe eben, mit ausgetrockneten Tümpeln. Aber selbst wenn hier bewässert würde, wäre der Ertrag auf der nährstoffarmen Erde äußerst gering.

 

Ganz anders in den Flusstälern: An beiden Ufern des Rio Negro ist das Land fruchtbarer. Hier wachsen Bäume – nicht nur mit Laub und Kernen, sondern auch mit Kirschen, Aprikosen oder Äpfeln. Wir spazieren über die Brücke des Rio Negro und schauen den Schwimmern zu. Sommerliche Idylle. Doch nach wenigen hundert Metern ist das Land wieder beige-grau, bedeckt mit Gräsern, Dornensträuchern und niedrigen Büschen.

 

Im Vogelschutzgebiet bei Las Grutas

Auf dem Weg zum Tierparadies

11.12. Nach dem Abstecher ins Landesinnere fahren wir wieder auf der bestens ausgebauten Ruta 3 Richtung Süden. Höchstens alle 50 Kilometer streifen wir eine Estanzia, eine Straßenkreuzung mit Tankstelle oder ein kleines Dorf; die Seitenstraßen sind nicht asphaltiert. Seit Buenos Aires sind wir rund 1500 Kilometer gefahren, beziehungsweise haben den Rotel-Fahrer Gerhard den Allradreisebus samt Schlaf-Anhänger chauffieren lassen.

 

UNESCO-Welterbe Peninsula Valdes

Die Halbinsel Valdes ist ein Naturparadies, das wir auf Pisten erkunden. Auf dem Land sehen wir größere Guanaco-Gruppen, Nandu-Familien (eine Straußenart) mit zahlreichem Nachwuchs, seltsam hoppelnde Maras (große Pampashasen), eine Vogelspinne, Perlsteißhühner, jede Menge Vögel und ein paar zerrupft-geschorene Schafe. An der Küste liegen faule Seeelefanten, Seelöwen und Robben. Emsige Magellan-Pinguine sind auf dem Weg vom Atlantik zu ihren Nesthöhlen.

 

In Puerto Palos, einem kleinen Touristenzentrum mit jeder Menge Angeboten zum Tauchen und Angeln, für Kajak- und Radtouren, starten einige Mitreisende zur Walbeobachtung. Das lohnt sich auch, denn der Golfo Nuevo im Süden der Halbinsel Valdes ist die Kinderstube der Glattwale. Jedes Jahr ab Juni werden hier Wallbabys gezeugt, die ein Jahr später hier zur Welt kommen. Im Oktober und November wimmelt es nur so von Glattwalen; im Dezember schwimmen sie wieder in den Atlantik hinaus. Weil wir schon viele Wale in Norwegen gesehen haben, verzichten wir auf die Fahrt.

 

Nandus, Vogelspinne und Seeelefanten

Maras, die Pampashasen

Eine Seelöwen-Kolonie

Seebad und Tauchsportzentrum

12.12. Puerto Madryn wurde 1865 von Bergleuten und Bauern aus Wales am Ufer des Golfo Nuevo gegründet. Heute ist der prosperierende Ort ein Touristenzentrum mit allerlei Angeboten im und auf dem Wasser sowie von Erkundungstouren auf die nahe Valdes-Halbinsel. Noch ist es ruhig in den Straßen; im Hochsommer, wenn die Kreuzfahrtschiffe anlegen, ist sicher mehr Trubel.

 

In einem Hotel-Restaurant an der Uferpromenade von Puerto Madryn bestellen wir unser erstes Lomo de Bife (Rinderlendensteak) – es wird das Beste der ganzen Südamerika-Reise bleiben: Superzart und auf den Punkt gegart, nur mit etwas Salz gewürzt, zergeht es auf der Zunge. Wirklich ein großer Genuss – und ein schöner Abschied von der artenreichen Peninsula Valdes.

 

Der Volksheilige Gauchito Gil

Noch ein Volksheiliger, der an Straßenaltären im ganzen Land verehrt wird: Der „kleine Gaucho“ Gauchito Antonio Gil gilt nach manchen Legenden als argentinischer Robin Hood. Er war von der Armee desertiert, stahl Vieh – und verteilte es an Arme. Er wurde gefangen und zum Tode verurteilt. Dem Henker sagte er, wenn er für Gauchito Gil bete, werde sein Sohn wieder gesund. Was den Henker nicht davon abhielt, das Urteil zu vollstrecken.

 

Als der Henker nach Hause kam, sah er, dass sein Sohn tatsächlich krank war. Er betete die ganze Nacht für Gauchito Gil – und der Sohn wurde wieder gesund. Zum Dank errichtete der Henker einen Schrein. Wir sehen viele Altäre und Schreine am Straßenrand, meist umweht von roten Fahnen, oft mit Figuren geschmückt, mit Zigaretten oder auch Autofelgen dekoriert. Gauchito Gil gilt als Schutzpatron der Lastwagen-, Bus- und Autofahrer. Wie La Difunta Correa soll er Wünsche erfüllen und Wunder vollbringen.

 

Guanacos am Wegrand

Lachsfestival im Garnelenzentrum

13.12. Camarones (= Garnelen) ist eine kleine Hafenstadt am Atlantik, ein Wal- und Fischfang-Ort. Beim jährlichen Lachsfestival im Februar/März tobt hier vermutlich der Bär; wir sind leider zu früh: Menschenleere, überbreite Straßen, bestens asphaltiert bis zum letzten Haus und dann ist Ende. Auf dem Weg nach Camarones kamen wir in der Nähe der Estanzia der Familie Peron vorbei; hier hatte der Vater von Juan Domingo Peron eine Schaffarm aufgebaut.

 

Eine steife Brise treibt uns in die windstillen Bereiche hinter der Mauer zum „Spanischen Turm“. Er erinnert – ebenso wie ein riesiges Gemälde an einer Häuserfront – an Simon de Alcazaba, der im Auftrag der spanischen Krone 1535 die hiesige Küste erforschte. Im 30 km südöstlich gelegenen Naturreservat Cabo dos Bahias besuchen wir eine riesige Pinguinkolonie: 13.000 Nisthöhlen erstrecken sich vom Atlantikufer einen breiten Hügel hinauf; auf einem eingezäunten Steg kommen wir ganz nah ran an die Magellan-Pinguine.

 

Die kaum kniehohen Pinguine faszinieren 

Fütterung des flauschigen Nachwuchses

Glattwal gestrandet

Unsere Reiseleiterin Angelika berichtet von einem Wal, der vor kurzem an dieser Küste gestrandet ist. Rotel-Fahrer Gerhard durchpflügt mit dem Allrad-Bus das sandige Gelände und findet den „Südlichen Glattwal“ auf dem Strand. Die Raubmöwen und Kormorane ziehen sich etwas zurück von ihrem Festmahl und lassen uns fotografieren. In der Luft liegt ein ganz ordentlicher Verwesungs-Gestank. Nichts wie weg, wir wollen weiter nach Süden.

 

Im Zentrum der Erdölförderung

Als der deutsche Geologe Josef Fuchs 1907 in Comodoro Rivadavia nach Trinkwasser bohrte, kam ihm eine braune, stinkende Brühe entgegen – Erdöl. Noch heute feiert Argentinien zur Erinnerung an dieses Ereignis am 13. Dezember das Petroleumfest. „Schwarze Schwäne“ heißen hier die nickenden Förderpumpen, die das Landschaftsbild prägen. Bei der Stippvisite im Paläontologischen Museum Astra können wir antike Förderpumpen und Bohrköpfe bewundern.

 

Wir übernachten 15 km südlich im ruhigen und blitzsauberen Seebad Rada Tilly. Hier wird nicht nur der Rasen gewässert, hier wird auch der Hausmüll in Drahtkäfigen 1 m über dem Bürgersteig gelagert (wohl wegen der streunenden Hunde) und der Müll an der Strandpromenade säuberlich getrennt. Der Kampf gegen Plastikmüll hat auch die Supermärkte erreicht: Bei unserem ersten Einkauf in Argentinien haben wir an der Kasse noch Plastiktüten bekommen; seitdem nicht mehr, in keinem einzigen Laden.

 

Ein Denkmal für zwei tapfere Pferde

14.12. Mancha und Gato, die beiden tapferen Criollo-Pferde, schafften den unglaublichen Ritt von Argentinien in die Vereinigten Staaten. Initiator dieser Meisterleistung war Aimé Felix Tschiffely, ein Schweizer Lehrer und Abenteurer. Er war so fasziniert von der Stärke und Ausdauer der argentinischen Pferderasse, dass er einen Züchter suchte – und in Sarmiento auch einen fand, der ihm zwei Gäule (wahrlich nicht seine besten) überließ. Mit ihnen startete er am 23. April 1925 in Buenos Aires seine Reise und ritt am 20. September 1928 über die Fifth Avenue in Manhattan/ New York.

 

Im versteinerten Wald von Sarmiento

Gauchos bei der Arbeit

Oben lagert Rohöl, unten treiben die Gauchos mithilfe ihrer Hunde eine Schafherde zusammen. Sie wandern zur Estanzia, wo sie nach dem Südwinter geschoren werden. Dazu sind eigens Wanderarbeiter angereist, die von Estanzia zu Estanzia fahren und die Schafe im Akkord von der Wolle befreien. Nach getaner Arbeit, im Januar, gibt es ein Festival der Schafscherer, mit Wettscheren und großem Volksfest, in Rio Mayo, an der Ruta 40.

 

Eine neue Reise