27.6. – 3.7. Sieben Tage Reykjavik sollten eigentlich reichen für Kunst und Kultur. Weit gefehlt. Wir haben nur altes und zeitgenössisches Kulturgut im Nationalmuseum und im Kulturhaus angesehen sowie junge, wilde Meisterwerke in der Nationalgalerie und Fotokunst in diversen Ausstellungen. Wir haben die Skulpturen von Sigurjon Olafsson im gleichnamigen Museum bewundert und die seines Nachbarn, der aus alten Schrottteilen wunderbare Skulpturen zusammenschweißt. Für das Freilichtmuseum Arbaejarsafn oder das weltweit einmalige Penismuseum blieb da leider keine Zeit.
Rund um den Stadtsee Tjörnin tobt das politische Leben: Ein Bürgermeister hat sich mit dem neuen Rathaus ein (damals höchst umstrittenes) Denkmal gesetzt, das auf einer künstlichen Insel in den See gebaut wurde. Markant ist auch das Parlamentsgebäude aus grauem Basalt mit Erweiterungsbauten aus Glas und Holz. Das Parlament immer im Blick hat Jon Sigurdsson, der Streiter für die Unabhängigkeit Islands, dessen Geburtstag heute Nationalfeiertag ist; am 17. Juni 1944 hatte Island seine Unabhängigkeit von Dänemark erklärt. Der Dom ist als Bischofssitz das religiöse Zentrum des Landes.
Der Premierminister hat seinen Amtssitz in Hafennähe, und er teilt sich die sehr überschaubare Zahl von Büros auch noch mit denen der Beamten des Staatspräsidenten. In das weiße Steinhaus – ursprünglich gebaut als Gefängnis – zog 1815 der dänische Verwalter ein. Vor dem Haus stehen die Statuen des dänischen Königs Christian IX., der die isländische Verfassung in seiner Steinhand hält, und von Hannes Hafstein, der 1904 erster Minister in Island wurde. Gleich nebenan pulsiert das moderne Reykjavik mit Open-Air Konzerten am Straßenrand und Touristenströmen durch Bankastraeti und Laugavegur.
Harpa, das gläserne Kultur- und Kongresszentrum am Hafen, hätte die Stadt fast in den Ruin getrieben. Die Bauarbeiten stockten während der Banken- und Wirtschaftskrise 2008 und wären fast eingestellt worden. Mit großer Kraftanstrengung wurde das ambitionierte Projekt weitergeführt – und heute freuen sich alle über das architektonische Glanzlicht und die Kulturbeflissenen ganz besonders über die hervorragende Akustik im großen Saal, die zu den zehn besten der Welt gehören soll. Wir haben einer Sopranistin, einer Mezzosopranistin und einer virtuosen Pianistin gelauscht.
Vom neuen Hafen aus startet die Fähre zur Insel Videy. Dort wurde 2007 der „Imagine Peace Tower“ installiert, den Yoko Ono entworfen hat. Er leuchtet nur am Geburtstag und am Todestag von John Lennon (sagt ein Reiseführer) oder immer in der dunklen Jahreszeit (sagt ein anderer Reiseführer). Wir können es nicht überprüfen. Wir haben schon lange keine Dämmerung mehr erlebt, geschweige denn abends Licht zum Lesen gebraucht. So muss ein Foto herhalten zur Verdeutlichung des Lichtspektakels, wann auch immer es stattfindet.
Im neuen Hafen legen die ganz großen Pötte an; neben der Aida parkt die Astor. Vor dem Bootsterminal stehen Busse und Taxen bereit für die Tour durch die Hauptstadt; viele laufen auch die 30 Minuten bis in die Innenstadt. Im alten Hafenbecken dagegen geht es gemütlicher zu: Yachten und Ausflugsboote liegen einträchtig neben den Küstenschutzschiffen, deren „Odinn“ im Kabeljaukrieg gegen Großbritannien eine Rolle spielte. An den Wegen zu den Anlegestegen drängen sich die Ticket-Buden für Tagesausflüge zum Hochsee-Angeln und Wale-Gucken.
Das Ende des Kalten Krieges wurde in Reykjavik entscheidend vorangebracht – im Höfdi, 1909 aus norwegischem Holz erbaut und heute für Empfänge der Stadt genutzt: In diesem Haus trafen sich Ronald Reagan und Mikhail Gorbatschow 1986 zum amerikanisch-sowjetischen Gipfel, dessen Folgen letztendlich auch zur deutschen Wiedervereinigung führten. An der Küste entlang spazieren wir Richtung altem Hafen, vorbei an der bekannten Bake „Sonnenfahrt“, einer mutigen Fassadenkletterin und dem Graffito am Gebäude der Hafenbehörde.
Auf einem 61 m hohen Hügel thront Perlan und speichert etwa 18 Mio. Liter heißes Wasser aus den Thermalgebieten rundum. Von hier aus werden Häuser, Schwimmbäder, einige Innenstadtstraßen beheizt – und der Rest erwärmt das Strandbad. Zu sehen ist eine interaktive Ausstellung zu Vulkanen, Gletschern und den Folgen der Erderwärmung, zu Geologie, Flora und Fauna. Der Hit ist die Gletscher-Nachbildung aus echtem Eis, mit gluckerndem Wasser in Hohlräumen und knackendem, stöhnendem Eis in engen Seitengängen. Und die faszinierenden Fotos von Vulkanausbrüchen.
Feiner Sandstrand, warmes Wasser, ein paar Sonnenstrahlen – was will man mehr, außer vielleicht ein paar Grade mehr auf dem Luft-Thermometer? Nautholsvik, der nördlichste Badestrand der Welt, hat eine eigene Warmwasserquelle: Perlan leitet überschüssiges Heißwasser ins Meer ab – und animiert zum kostenlosen Badevergnügen im Nordatlantik, knapp südlich des Polarkreises. Bruno hat die große Badewanne sehr genossen. Im Meer abseits des heißen Zustroms schwimmen allerdings nur hartgesottene Kaltwasserfans oder solche in Neoprenanzügen.
In der Halle des Flohmarkts finden wir gleich mehrere Stände mit Hakarl: fermentierter Hai, getrocknet, tiefgekühlt und frisch. Bruno testet ein Stück und ist gleich so begeistert, dass er ein kleines Töpfchen kauft – das jetzt seit ein paar Tagen in unserem Kühlschrank lagert. Beate überlegt noch: probieren oder wegwerfen? Der Stuttgarter Sternekoch Vincent Klink nannte die Isländische Spezialität „Gammelhai“, dessen Geschmack an überreifen Käse, wie etwa Romadur im Endstadium, angereichert mit einem Schuss Pferdeurin, erinnere.