Frida wird wieder blitzblank

Und wieder retour

11.7. Weil der Dempster Highway nur von  A nach B führt, geht es auf derselben Straße wieder zurück. Wir kennen noch nicht jedes Schlagloch, wir finden immer wieder neue. Ein paar Löcher und schlechte Wegstrecken sind inzwischen verschwunden – dank dem unermüdlichen Einsatz der BauarbeiterInnen, die auch abends und am Samstag und Sonntag neue Materialien ankarren und die Straße planieren.

Verwundert sind wir über den „grünen“ Norden. So weit über dem Polarkreis hatten wir mehr Tundra, Taiga und nackten Fels erwartet, und nicht die vielen Nadelbäume, die sich zu Wäldern ausbreiten. Dass Waldbrände nützlich sind, hatten wir bereits geschrieben. Hier erfahren wir, dass ein Waldbrand die Rentier-Population zurückdrängt (ihnen fehlen im Winter die nahrhaften Baumrinden); dafür gibt es mehr Elche, die das offenere Gelände lieben.

Heute haben wir einen Staubtag erwischt. Zwar bemühen sich die Bewässerungs-Fahrzeuge, die Straße feucht zu halten, aber meist nur an den Stellen, an denen demnächst oder vor kurzem gearbeitet wurde. Die Fahrt bis zu den Fähren kommt uns viel kürzer vor als auf der Hinreise, dafür müssen wir bei beiden Flussquerungen anstehen. Auch der Bagger, der bis kurz vor der Abfahrt noch die Rampe verbessert hat, darf mit aufs Schiff.

Wieder fahren wir durch die schier unendliche, menschenleere, faszinierende Weite. Der Dempster folgt einem alten Weg der First Nations, Inuit und Trapper. In den Eagle Plains rollen wir über sanfte Hügel, der boreale Wald ist verschwunden, hier ist Tundra mit niedrigen Bäumchen, Tümpel und Seen auf dem Permafrostboden. Nach der Halbzeit gehts weiter Richtung Süden, wo am Horizont wieder Berge auftauchen, höher und schroffer.

In den Tombstone Mountains wimmelt es von Radfahrern: Manche sind auf langer Strecke von Tuktoyaktuk unterwegs, die wenigsten mit Gepäck – mindestens zwei Radreisegruppen treffen wir im Tombstone Camping, die sich abends ins Regen-klamme Zelt zurückziehen. Das ist gut gegen die Waldbrände, die sich auch im Yukon ausbreiten und entlang des Klondike Hwy Richtung Whitehorse wüten. Nach 1720 relativ einsamen Kilometern auf dem Dempster sind es nur noch 40 km bis Dawson City. Schön wars. Einzigartig. Unvergesslich.

Inuvik – Platz der Menschen

10.7. Der größte kanadische Ort nördlich des Polarkreises, zugleich die drittgrößte Stadt der Nordwest Territories überrascht mit ihrer enormen Infrastruktur: ein großes Kinderhaus, ein riesiger Schulkomplex mit integrierter Sporthalle, ein rot-blaues Hospital, eine Sport-Freizeit-Festhallen-Ensemble, die ihresgleichen suchen, dazu viele Hotels und Motels, Cafés, Imbissbuden und Restaurants, zwei Tankstellen, zwei Campingplätze, mehrere Supermärkte, Klamottenläden, Kunst- und Souvenirshops. Gerade laufen die Vorbereitungen für das Great Northern Art Festival, das größte Kunstfestival des Nordens.

Während Beate textet besucht Bruno die Trauerfeier von Emma Jane Dick, genannt Niuqsit, die am 2. Juli im Alter von 93 Jahren verstorben ist. Halb Inuvik bis hin zur Bürgermeisterin ist in die Versammlungshalle gekommen, um Abschied zu nehmen. Niuqsit war eine ganz besondere Frau, wie aus der 18-seitigen Gedenkschrift hervorgeht: Geboren wurde sie 1926 im Mackenzie-Delta, wo sie in einem Zelt lebte. Als sie 10 Jahre alt war, schickten ihre Eltern sie für fünf Jahre zur Schule in Aklavik; nur in den Sommerferien konnte sie ihre Familie besuchen. 1942 lernte sie ihren Mann Hebert kennen, sie heirateten und bekamen zwölf Kinder. Sie arbeitete zunächst als Wäscherin und Büglerin, später als Sprachlehrerin für die Inuit-Klassen. Sie engagierte sich in Kirche und Gemeinde, tanzte und sang in ihrer Sprache, lehrte Kinder Überlebenstechniken in der Wildnis und erzählte ihnen Geschichten aus ihrer Kultur. Ruhe in Frieden.

Neben dem Western Arctic Tourismusbüro gibt es eine sehr spezielle Wetterfahne - eine weiß-grüne Cessna dreht sich in den Wind. Auch in Inuvik stehen die Häuser auf Stelzen über dem Permafrostboden und die Leitungen (Strom, Wasser, Abwasser, Telefon, etc.) laufen in isolierten Metall-Rohren über der Erde; es gibt auch noch rund einen Meter hohe Holz- oder Blechaufbauten für die Leitungssysteme – ältere Modelle?

Mythos Dempster Highway

6.7. Der Demster Highway ist schon etwas ganz Besonderes: 733 Pisten-Kilometer sind es von der Abzweigung am Klondike Highway bis Inuvik und seit November 2017 weitere 148 km bis Tuktoyaktuk am arktischen Ozean. Wir sind gespannt auf den Wandel der Landschaften vom borealen Nadelwald über die Taiga bis hin zur Tundra. Ob wir im hohen Norden nur Geröllwüsten mit Eis und Schnee sehen werden? Ob wir unterwegs Adler und Dickhornschafe, Bären und Rentiere sehen oder nur Millionen Moskitos und Bremsen?

Erst mal sehen wir nur wenig. Der Himmel ist bedeckt, teils von Regenwolken, teils vom Rauch der Waldbrände in Alaska und abseits des Dempster Hwy. Der Hinweis auf die nächste Tankstelle in 370 km schreckt uns nicht, es ist trocken und die Piste lässt sich gut fahren. Nur die Berge hüllen sich in blauen Dunst. Bis zur Mittagspause haben wir den ersten Pass „bezwungen“ und sind schon fast aus dem Tombstone Territorialpark wieder raus.

Der zunächst kleine Bach hat es in sich, die bunten Steine an seinen Ufern zeigen es an. Im Wasser des Engineer Creek sind reichlich Mineralien enthalten, die den Bach und seine Umgebung gelb-rötlich färben – und duften: Kalzium, Magnesium, Natrium, Bicarbonat, Sulfat, Chlor und Schwefelwasserstoff. Dall-Schafe kommen regelmäßig zum Ufer, um die Mineralien von den Steinen zu lecken. Wir übernachten auf dem Moskito-reichen Camping nebenan. Am nächsten Morgen kreuzt ein Polarfuchs unseren Weg.

Wir zuckeln durch die nördlichen Ogilvie Mountains, langgezogene Berge mit teils bizarren Felstürmchen (wer entdeckt den Elefanten?), erst entlang des Ogilvie River und dann rauf auf das Hochplateau der Eagle Plains. Die zweite von drei Wasserscheiden zwischen dem Pazifik und dem Nordpolarmeer: Vom Aussichtspunkt Ogilvie Ridge überblicken wir 180 km des Tals von Peel und Ogilvie River bis zu den Richardson Mountains, den nördlichen Ausläufern der Rocky Mountains.

Rund 100 km fahren wir auf dem Kamm der Hügelkette und erreichen das Eagle Plain Hotel (mit Tankstelle), wo wir die Hälfte der Strecke nach Inuvik bewältigt haben. Schnell gehts weiter zum nördlichen Polarkreis, dann auf sehr schlechter Wegstrecke zur Grenze zwischen Yukon und Nordwest Territories. Wir haben schon eine Weile darauf gewartet, dass uns Irene und Jürg auf ihrer Rückreise von Tuktoyaktuk entgegen kommen, und kurz nach dem Wright Pass ist es soweit. Ein schönes Wiedersehen und Euch weiterhin gute Reise. Wir treffen uns in Alaska.

Zwei Fahrten über nicht überbrückte Flüsse stehen an – erst der Peel River auf einer kleinen Fähre kurz vor Fort Mc Pherson, dann gehts über den hier schon mächtigen Mackenzie River. Jetzt sind es nur noch gut 100 km durch relativ ebenes Sumpf- und Seenland mit borealem Nadelwald. So weit nördlich hatten wir den gar nicht mehr erwartet. Dann erreichen wir das Ende des Dempster Highway in Inuvuk, der größten kanadischen Siedlung nördlich des Polarkreises.

Auf dem Tuktoyaktuk Highway

9.7. Seit 2017 ist die Verlängerung des Dempster Highways auch im Sommer für den Verkehr frei gegeben. Wir nehmen die 148 km einfachen Weg unter die Räder und sind überrascht von der Vielfalt an Landschaft und Grünzeug. Die Straße ist – abgesehen von einem üblen Stück kurz nach Inuvik – überraschend gut: feiner Schotter im Wechsel mit Wellblech und groben Steinen, die Fahrzeuge verursachen riesige Staubfahnen, die durch Wassersprühwagen ab und zu eingedämmt werden.

Die Landschaft geht von den hügeligen Caribou Highlands mit borealem Wald über in ein Seengebiet mit vereinzelten Bäumen und viel Grünbewuchs, über dem das weiße Wollgras schwebt. Im Norden ragen Pingos in die Höhe - kleine, kreisrunde Berge, die einen Eiskern besitzen. Leider sieht es wieder mau aus mit Tierbeobachtungen: Die Grizzlys kommen im August hier vorbei, wenn die Beeren reif sind, die Karibus erst im September auf ihrer Wanderung in den Süden.

Tuktoyaktuk begrüßt uns mit seiner Mülldeponie. Der Ort wirkt sehr auseinandergezogen, viel Raum nimmt die Versorgungsinfrastruktur in Anspruch. Die Häuser sind wegen Permafrost auf Stelzen gebaut, die außen angehängten Treppen vielleicht nur im Sommer nötig. Der Ortskern zieht sich am arktischen Ozean entlang. Zwei Restaurants warten auf Gäste. Im Visitor Center erfahren wir, dass das Parken über Nacht (ohne Camping-Infrastruktur) 50 Dollar kostet, die Postkarte mit Schriftzug des Ortes gibt es für 5 Dollar. Wir fahren zurück nach Inuvik.

Eine neue Reise